Podcast Hinterbühne Folge 31 - Transkript

Podcast »Hinterbühne« #31
Transkript


Intro:

»Hinterbühne«, der Podcast des Theaters Ulm, mit Gesprächen irgendwo zwischen Foyer, Rang, Podium und hinter der Bühne.

Christian Stolz:

Ein herzliches Hallo zur 31. Folge des Podcasts. Heute unterhalte ich mich mit Marlene Schäfer. Sie ist seit 2023 Schauspieldirektorin am Theater Ulm. Wie es war, als sie 2016 schon einmal für einen Tag hier am Theater in der Donaustadt war und welchen Ort in Deutschland sie so sehr ins Herz geschlossen hat, dass sie sich sogar ein passendes Tattoo hat machen lassen, das möchte ich sie heute Fragen. Hallo Marlene.

Marlene Schäfer:

Hallo lieber Christian, mal gucken, ob ich das beantworten werde. Wir werden sehen.

Christian Stolz:

Du bist heute zu Gast im Podcast und hast mir erzählt, dass du auch selber gerne Podcasts hörst.

Marlene Schäfer:

Ja, wenn ich die Zeit dazu habe, höre ich gerne Podcast.

Christian Stolz:

Hast du einen Lieblingspodcast?

Marlene Schäfer:

Ich hab keinen Lieblingspodcast es hängt immer damit zusammen, welche Gäste zum Beispiel in dem Podcast sind. Also ich finde von Zeit Online »Alles gesagt« ist ein tolles Format, bei dem die Gäste so lange sprechen wie sie wollen, also das heißt da gibt es dann auch Aufnahmen die bis zu acht Stunden dauern, bis dann eben ein Codewort fällt und solange das nicht fällt, wird weiter geredet, mal gucken wie lange wir heute sprechen werden, vielleicht nicht acht Stunden, aber vielleicht auch doch wer weiß.

Christian Stolz:

Ich nehme jetzt mal als Anregung auf, mal gucken, wie sich der Podcast entwickelt mit der Zeit. Was ist denn Deine Aufgabe oder was sind Deine Aufgaben als Schauspieldirektion?

Marlene Schäfer:

Oh, ganz viele, ganz viele Aufgaben. Und gleichzeitig ist es jetzt nicht so, dass man so ein Regelwerk an die Hand bekommt, bei dem das dann so drauf steht, dass man sagt, OK, das und das, dafür bist du zuständig, sondern es ist eher so, dass man über das Machen, das Vor-Ort-Sein lernt. Und die Aufgaben auch zu einem kommen oder finden. Und jetzt in der Schauspieldirektion.. also für mich ist das ja auch relativ neu, ich war ja vorher lange freiberufliche Regisseurin und war also immer als Gast an einem Haus und bin dann nach den sechs üblichen Probenwochen wieder gegangen. 

Hier hab ich eben die Chance, tatsächlich lange an einem Theater zu bleiben. Also über diese übliche Zeit hinaus und eben nicht nur selbst zu inszenieren, sondern auch die ganzen Prozesse dahinter kennenzulernen und eben mit den Menschen, die auch an so einem Haus fest arbeiten. Ja, zusammenzukommen und gemeinsam zu wirken, und das ist schon sehr besonders. Zum Beispiel zählt dazu die Spielplangestaltung, also die Frage, was macht man in der nächsten Saison, welche Stücke sind gerade am Puls der Zeit, welche Stücke gab es vielleicht schon lange nicht. Das auch zu versuchen in Einklang zu bringen mit unterschiedlichen Stoffen. Von der Komödie bis zu auch tragischen Dingen. 

Dann gibt es natürlich ganz viel Tagesgeschäft, bei dem man guckt, wenn jetzt gerade im Krankheitsfall ansteht. Damit haben wir ja auch immer wieder zu kämpfen: Wie retten wir die Vorstellung, wie kriegen wir das hin, dass unser Programm für das Publikum erhalten bleibt. 

Dann gibt es Vertragsverhandlungen mit Gästen, die ich mache. Dann gibt es Planung auch, also ganz viele Veranstaltungen, die hier vor Ort laufen und es gibt in jedem Fall ganz viele Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen über das, was wir tun, über das, was wir besser machen können über das, was gut läuft. 

Wir sind da in einem ganz großen Austausch miteinander, um weiter zu wachsen, und das war für mich sehr wichtig, als ich hier begonnen habe, in dieser neuen Funktion immer wieder Gesprächsangebote zu geben, sozusagen, also zu stellen und gleichzeitig auch einzufordern. Weil ich denke, dass man im Team immer stärker ist als alleine. Und weil ich glaube, dass ich nicht alleine alles sehen kann. Also ich muss meinen Kolleginnen und Kollegen sagen, zeigt mir das, was ich nicht sehe, damit sich mein Blick auch weiten kann. Und genau das ist der Versuch. Es ist ein ewiger Versuch und das jeden Tag, aber er macht großen Spaß.

Christian Stolz:

Und der Blick in die Struktur eines Hauses, also dauerhaft an einem Haus zu sein, es mitzuprägen, ist das so, wie du es dir vorher vorgestellt hast, oder waren da auch Überraschungen dabei?

Marlene Schäfer:

Teils teils. Ich war lange Regieassistentin, das ist jetzt schon auch ne gute Weile her, das war am Staatstheater in Darmstadt und danach in Karlsruhe. Und da hab ich auf jeden Fall ja auch über einen längeren Zeitraum die Prozesse an einem Haus kennengelernt. Also wie funktionieren die auf und abbauten auf der Bühne zum Beispiel, wie funktionieren die Werkstätten, wie ist der Vorlauf von der Produktion, von der ersten Idee bis zur Premiere, also solche Dinge, das hab ich alles schon dort auch kennengelernt. 

Und ich hab mich an sehr vieles wiedererinnert tatsächlich, auch wenn das schon mit der Assistenz lange vorbei ist, gibt es sehr viele Dinge, die eben in den Abläufen an den Theatern doch ähnlich sind, und da hat mir diese Vorprägung oder Bildung schon sehr geholfen. Und trotzdem ist Ulm natürlich Ulm, also das ist natürlich ja auch noch mal anders als an anderen Häusern, und die Kollegen sind andere und auch die Abläufe in Teilen sind auch andere, und deswegen war das schon auch ein neues Einfinden in die Prozesse hier.

Klar gibt es da routiniertere Dinge und es gibt aber auch jeden Tag wieder Neues, mit dem man nicht gerechnet hat.

Christian Stolz:

Und du hast an der LMU in München eine Weiterbildung Theatermanagement absolviert. Bevor du hier Schauspieldirektorin geworden bist. Wie ist das? Was lernt man dort und ist das sehr praktisch? Also lernt man ja wirklich quasi Leitungsfunktion in der Praxis oder ist das erstmal theoretisch und man muss es dann selber auf die Arbeit hier übertragen?

Marlene Schäfer:

Ja, auch das. Also das ist ein berufsbegleitender Studiengang, der über ein Jahr läuft und den man dann mit einem Fachdiplom abschließt, und der richtet sich tatsächlich an Menschen, die im Theaterbetrieb arbeiten und quasi lernen wollen, wie Führung funktioniert, im Theater. 

Also, das heißt, es sind 6 Module, aufgebaut in ein juristisches Modul, kulturpolitisches Modul Finanzmanagement. Also alles Dinge, die ich jetzt erst mal aus der Regieperspektive heraus so gar nicht kennengelernt hab. Ich hab Literaturwissenschaften und Kulturwissenschaften studiert, auch da fehlte mir zum Beispiel dieser BWL-Hintergrund total und ich hab mich dann beworben bei diesem Studiengang und hatte das Glück, tatsächlich genommen zu werden und konnte das dann über ein Jahr lang berufsbegleitend machen. Also das gab dann eben so Seminare dort vor Ort und ganz viele Aufgaben, die man aber dann in der Zwischenzeit erfüllen musste und auch eine Abschlussarbeit schreiben musste. Die ist so im Umfang von einer Bachelorarbeit ungefähr. Also es war schon anspruchsvoll, aber ich hab auch total viel gelernt…ja und natürlich auch der Netzwerkgedanke, der ist auch groß und das ist auch wichtig, dass man sich da zusammenschließt und auch die Prozesse an den Theatern, die verändern sich. Insgesamt gibt es viele Transformationsprozesse, nicht nur bei Leitungswechseln. Und ich glaub da ist es ganz wichtig, dass man da gemeinsam drauf guckt.

Christian Stolz:

Und als du mit diesem Studium begonnen hast oder es gerade gemacht hast, hattest du da schon ein konkretes Bild, dass du zum Beispiel einer Schauspieldirektorin in Ulm werden würdest?

Marlene Schäfer:

Das ist lustig, weil tatsächlich im November 2022 kam dann quasi der Vertrag aus Ulm. Also damit war das dann klar, dass ich das starten darf und ungefähr zeitgleich kam dann auch die Zusage von München. Also das war, das lief tatsächlich parallel und hat sich dann super bedingt, weil in der Zeit in der ich dann quasi die Übernahme, also die Schauspieldirektion hier vorbereitet habe, startete dann der Studiengang und das war für mich ein ganz großes Glück und ich hatte da auch dann eben schon Kontakt mit Herrn Metzger und auch mit Frau Weißhardt, die mich dann da unterstützt haben, so dass ich das, was ich in München gelernt habe, an dem Beispiel Ulm anwenden konnte. 

Also man guckt dann zum Beispiel in den Kulturentwicklungsplan, man guckt sich auch Zahlen an, man guckt sich an, wie ist eine Stadt aufgebaut, wie ist die Publikumsstruktur und das dann eben ganz konkret am Fallbeispiel Ulm machen zu können, hat mir total geholfen und auch irgendwie einen schönen Weg bereitet, hier in dem Theater mich so ein bisschen zurechtzufinden.

Christian Stolz:

Tauchen wir doch mal vielleicht ein bisschen in deinen Lebenslauf ein. Das ist jetzt der aktuelle Punkt, Deine Schauspieldirektion hier in Ulm gehen wir jetzt mal ein paar Jahre zurück. du hast gerade schon, eine wichtige Station angedeutet, Deine Zeit als Regieassistentin in Darmstadt und in Karlsruhe. Davor hast du in Berlin Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaften studiert und hast dann einige Jahre als freischaffende Regisseurin an verschiedenen Theatern in Deutschland gearbeitet, unter anderem in Ingolstadt, in Münster, am Schauspiel Frankfurt, in Wiesbaden, Potsdam und Aachen. 

Das ist erstmal dein sehr theatergeprägter Lebenslauf. Jetzt ist es ja oft so bei Leuten, dass man entweder ein bestimmtes Erlebnis hatte, durch das man zum Theater gefunden hat, oder Familienmitglieder sind schon am Theater tätig, man bekommt es quasi in die Wiege gelegt. Wie war es denn bei dir, wie ist die Lust am Theater entstanden?

Marlene Schäfer:

Das ist eine total gute Frage. Weil ich würde jetzt erstmal intuitiv sagen, die war schon immer da, seitdem ich denken kann, ist die da. 

Und ich war mit 4 Jahren zum ersten Mal in einer Operette, »Die  Csárdásfürstin« am Stadttheater in Darmstadt, weil meine Großeltern mich mitgenommen haben, und ich kann mich tatsächlich an diesen Abend noch erinnern. Ich weiß auch noch, was ich anhatte und hab auch noch so Bilder vor Augen, und diese Welt hat mich so wahnsinnig fasziniert und das ist ungebrochen geblieben. Ich komme aber nicht aus einer Theaterfamilie. Also ich komme aus einem sehr, sehr, sehr kleinen 300-Seelendorf in Mittelhessen, da ist das nächste Theater, das ist dann so das Staatstheater Kassel. 

Und da habe ich auch in der Jugendzeit so eine Jugend-Abo-Fahrt immer gemacht, einmal im Jahr mit Freundinnen. Da sind wir dann über die einzelnen Käffer gefahren und haben uns dann so vier oder fünf Stücke im Jahr angeguckt. 

Aber das hat sich nie mir so vor die Füße gelegt, sondern ich musste mich immer so ein bisschen bemühen und kümmern und hatte aber auch glücklicherweise eine intrinsische Motivation. Die Faszination wurde mir eigentlich geschenkt, kann man so sagen. Und dann hab ich das ernst genommen, bin drangeblieben und hab dann auch, jetzt muss ich kurz überlegen, da war ich so 14/15 in der neunten Klasse, da macht man so ein Betriebspraktikum. 

Und da war ich dann in der Requisite auch in Darmstadt, weil meine Großeltern eben dort lebten und da der Bezug dann dadurch kam. Und da hab ich dann also zum ersten Mal für zwei Wochen am Theater richtig was getan, gearbeitet.. und ich weiß noch, dass mich das so fasziniert hatte, dass ich dachte, ich bin so jung, ich kann eigentlich noch gar nichts, und jetzt darf ich hier so Sachen machen, die am Abend auf der Bühne zu sehen sind. 

Also das hat mich total fasziniert und dann war eben auch klar. Auch in der Schule habe ich Theater gespielt, ich hab auch die Theater AG geleitet in der Oberstufe und hab dann da auch selber inszeniert, also noch ganz anders, als ich das heute mache, glaube ich, aber mit viel Engagement und Spaß war es auf jeden Fall. 

Und deswegen war das dann relativ klar, dass ich nach dem Abitur ans Theater möchte. Und dann hab ich ein Jahr lang hospitiert und assistiert, zuerst bei Festspielen in Hessen, in Bad Hersfeld. Eben auch wegen der Nähe zu meiner Heimat. Und dann bin ich nach Berlin und da war ich an der Schaubühne und am Berliner Ensemble und hab dann da so ein bisschen Großstadtluft schnuppern können und hab da ganz tolles Theater gesehen. 

Also so Thalheimer, Kriegenburg und also so diese Zeit war das in den 2000ern. Und ja, das war toll und dann eben hab ich dann schon auch gedacht, na ja, also ich hab jetzt zwar assistiert und theoretisch würde der Weg am Theater für mich weitergehen, aber ich war dann schon darüber klar, dass dass ich noch sehr jung war, also mit 20/21..

Und ich dachte: Na ja, ich müsste vielleicht auch noch was lernen, also im Sinne von ich hab noch Kapazitäten und bevor ich jetzt mich in den Berufsalltag stürze, ist es vielleicht nicht schlecht einfach eine Basis zu schaffen, auch menschlich, also auch im Sinne von selber reifen. Also ich hatte schon das Gefühl, dass ich da noch ein bisschen brauche und gerne noch mehr aufsaugen möchte. Ich hab mich wie ein Schwamm gefühlt und dachte dieses Studium hat mich sehr interessiert, auch wenn ich wusste, dass ich das eher benutzen möchte für das Theater dann und jetzt nicht Lektorin werden möchte, oder so und so hab ich dann die Jahre in Berlin verbracht und hab dann am Ende dieser Zeit, das war dann in 2011 mit einer Freundin zusammen ein Stück inszeniert in der Offszene in der Kulturfabrik. 

Wir haben das alles selber auf die Beine gestellt, das war dann »Das große Heft« von Agota Kristof, was ja hier auch mal auf dem Spielplan war, vor ein paar Jahren. Und da war es dann so, dass wir gesagt haben, also wenn das klappt, dann werde ich Regisseurin, wenn da was bei rauskommt, was die Leute sehen möchten, dann nehme ich es ernst und dann mache ich das! 

Und dann wurde ich tatsächlich danach Regieassistentin in Darmstadt, also auch da wieder der Bezug zu der Stadt, in der ich zum allerersten Mal im Theater gewesen bin, und das war dann auch ganz toll dort selber vor Ort zu leben, drei Jahre lang, und ich hatte das große Glück, in der Assistenzzeit neben so einem Late Night Format, wo man eben sich ausprobieren konnte als Regieassistentin, konnte ich vier eigene Inszenierungen machen, das ist schon viel. 

Und da war ich dann sehr dankbar, meinem damaligen Chef, dem Schauspieldirektor. Und dann war aber auch klar, wenn man in die Freiberuflichkeit möchte als Regisseurin.. zum einen braucht man ein bisschen Erfahrung in, oder auch ein Handwerk, ein Regiehandwerk, und dadurch, dass ich nicht Regie studiert habe, kam das eben über die Praxis, und zum anderen braucht man Kontakte. 

Also wenn man nicht von dir weiß, dann kann ich auch keiner engagieren, dann kann keiner sagen, ich hätte da einen Stoff, das könnte für dich passen und deswegen wusste ich, ich muss nochmal eine andere Station ansteuern und hab' mich dann in Karlsruhe beworben und hab' eigentlich gar nicht unbedingt damit gerechnet, dass die mich nehmen, weil ich dann eben mit drei Jahren Erfahrung, da ist dann schon irgendwie klar, dass man nicht ewig mehr bleibt. Und dann fanden die das aber ganz gut und ich hab dann gesagt: Na ja, also ich komm gerne, aber ich möcht' auch inszenieren und dann hat das geklappt, dann durfte ich da inszenieren und dann hat tatsächlich von dort aus der Sprung in die Freiberuflichkeit ziemlich gut geklappt.

Christian Stolz:

Das merkt man immer wieder bei Biographien, dieser Punkt, man hat das Studium oder so die Assistenzzeit vielleicht fertig. Und dann kommt dieser Sprung in die Freiberuflichkeit und man muss sich, wie du erzählt hast, auch vorbereiten. Man muss Kontakte geknüpft haben, um überhaupt ein Netz zu haben, wo man arbeiten kann. Wie hast du diese Zeit erlebt, quasi nach der Ausbildung nenn' ich es jetzt mal, nach dem »Zuschauen, mitwirken« hin dann zum »Jetzt möchte ich selber Regie führen«, also Regisseurin sein. Was hattest du da für Gefühle in diesem Sprung, sag ich mal, in den Beruf, aber auch in die Freiberuflichkeit?

Marlene Schäfer:

Das war richtig schrecklich. Das war echt schrecklich, weil wenn man jetzt so, wenn man jetzt die Biografie anguckt, oder wenn man dann sieht, ah, OK, die und die Inszenierung in dem und dem Jahr, dann wirkt das erstmal wie ein sehr, sehr schlüssiger Lebenslauf. Aber das fühlt sich beim Erleben gar nicht so an, weil man an ganz vielen Stellen nicht weiß, wie es weitergeht, und Angebote dann viel kurzfristiger kommen. 

Also man hat in der Freiberuflichkeit gerade am Anfang wenig Planungssicherheit und man hangelt sich manchmal tatsächlich von Projekt zu Projekt und hat noch keine Ahnung, wie es danach weitergeht. Und das ist etwas, das man aushalten und lernen muss. Genauso wie man lernen muss, dass man sich selbst die Zeit einteilt. Also das werden die Menschen auch in anderen Branchen, die selbständig sind, wissen, dass es an einem selber liegt eine nötige Disziplin zu haben, die Dinge zu tun, die man tun muss und gleichzeitig aber auch die nötige Entspannung, den Stift dann fallen zu lassen, wenn man weiß, ich bin gerade gar nicht mehr produktiv. Und das das war ein tolles Learning, also das ja gehört da auch sehr zu dieser Zeit. Ein Gespür dafür zu entwickeln, wann man auch irgendwie effektiv ist. Also wann man auch gerade künstlerisch gut arbeiten kann, weil man kann nicht jeden Tag das Gleiche in sich selbst anzapfen. Also weil wir so intuitiv arbeiten, jetzt in der Kunst und ganz viel eben nicht immer nur logisch ist, sondern von woanders kommt. Nämlich irgendwie anders aus dem Inneren oder aus der Seele oder aus einem inneren Gefühl heraus, wie man Dinge erzählen möchte oder was man glaubt, wie es funktionieren könnte. 

Das ist ja erstmal ganz oft eine Theorie oder eine Idee und ob diese Idee auch in die Wirklichkeit findet, das muss man ausprobieren. Dafür proben wir auch und das war eine spannende Zeit das zu lernen und das hilft mir aber auch jetzt total in der Organisation, also dadurch, dass ich eben nicht nur jetzt als Regisseurin arbeite, sondern auch als Schauspieldirektorin und eben andersrum. Und diese Aufgabenfelder sehr unterschiedlich sind und ich eben auch eine Familie habe, natürlich auch ein Privatleben irgendwie habe und man versuchen.. muss alle Bälle, die so in der Luft sind, zu jonglieren und nicht fallen zu lassen. Da hilft mir diese Schule, auch wenn sie damals sehr hart war, sehr. 

Also in der Eigenverantwortung, die Dinge zu tun, ja, und dann habe ich ein Stück gemacht mit dem Namen »Sterben helfen« von Konstantin Küspert, das war ein Auftragswerk für Karlsruhe, ich durfte das inszenieren. Und das ist, das hast du in dem Einspieler eben schon gesagt, das ist das Stück, mit dem ich hier gastiert habe, in Ulm, ich glaube, in 2016 war die Premiere, und in 2017 waren die Baden-Württembergischen Theatertage in Ulm und wir wurden eingeladen, mit dieser Inszenierung über Sterbehilfe. 

Und da war ich dann schon hier im Haus, genau, und da haben wir im Podium diese Inszenierung gezeigt, und das ja war so meine erste richtige Berührung mit Ulm. Ich hab ein paar andere Sachen hier auch schon mal im Theater gesehen. Ich hab lange Zeit in Heidelberg und eben in Karlsruhe gewohnt. Und deswegen ist so der Baden-Württemberg-Bezug groß und ich hab in Tübingen mehrfach inszeniert. Also genau das ist ja alles so ein bisschen die Baden-Württembergische Nachbarschaft und genau da schließt sich der Kreis.

Christian Stolz:

Kannst du dich an diese erste Begegnung mit dem Theater Ulm 2016 noch gut erinnern?

 

Marlene Schäfer:

Ja, ja, total. Also ich war glaube ich schon in 2015 mal hier und habe ein Stück gesehen. Ich glaube, das war »Kabale und Liebe«, wenn ich mich richtig erinnere, das ist das erste Mal, dass ich hier war und ich, ich weiß auch, ich bin da, also ich stand vor diesem riesen Tanker und dachte: Wow, was ist das für ein Riesenklotz und bin dann in dieses Foyer gegangen und auch, ich find das so schön, ich find es so toll, ich find es also überhaupt den Bau architektonisch mit diesen vielen Ecken und diesen, das ist ja irgendwie ein Sechseck eigentlich, in dem sich weitere Sechsecke befinden und das find ich ganz großartig. Und dieser curryfarbene Teppich im Foyer… und diese Lampen und also ich weiß das noch genau, ich hab sogar auf Instagram so 'n Bild gepostet, damals, ist schon lange her, aber ich fand es auf jeden Fall sehr eindrücklich und hätte nie gedacht, dass ich dann irgendwann mal als Schauspieldirektorin an diesem Haus bin. 

Hätte ich nicht erwartet. Aber ja, auch da. Es ist so interessant. Die Theaterwelt ist dann schon klein und es schließen sich immer wieder diese Kreise, also so wie ich mit vier Jahren zum ersten Mal in Darmstadt im Theater war, dann dort 'n Praktikum gemacht hab' und dann da Assistentin war, so ist es auch ein bisschen hier mit Ulm. Ja, also man hat dann schon so eine Verbindung. Zu den einzelnen Städten und auch den Häusern, in den in den Städten.

Christian Stolz:

Würdest du sagen, dass heute, was dich antreibt, am Theater zu sein, immer noch dasselbe ist wie früher, als du in diese Laufbahn gestartet bist? Oder hat sich dein Blick auf Theater mit der Zeit verändert?

Marlene Schäfer:

Es ist so kitschig, aber ich glaube nein. Also ich glaube, es ist immer noch die gleiche Motivation. Hört sich auch so verkopft an.. also anders gesagt, ich frag mich manchmal ob es irgendwas gibt, was ich sonst noch könnte. 

Ich bin immer so beeindruckt von Menschen, die Dinge auch erschaffen, die bleiben, zum Beispiel. Also mein Bruder ist Schreiner, meine Schwester ist Hebamme, das ist so die Sphäre, aus der ich komme und das ist alles so wahnsinnig sinnhaft, weil man das Ergebnis irgendwie von dem Tun. Das ist so »da«. Das ist so anwesend, das ist spürbar, das ist benutzbar jetzt wie ein Tisch oder sowas. 

Und in unserer Welt, wir erschaffen einen Theaterabend, wir erschaffen einen Augenblick, der vielleicht rührt, der zum Lachen anregt, der zum Denken anregt, der vielleicht auch traurig macht oder der irgendwie nachhallen kann. Aber es geht immer nur um den einen Moment, und danach ist das dann weg. Und dazu kommt, dass wir unsere Stücke vielleicht dann zehn mal spielen und danach sind dann auch die weg und die Bühnenbilder werden recycelt oder verschrottet.. die Texte werden wieder vergessen, neue Texte werden gelernt und es ist so ne vergängliche Kunst. 

Das ist auf der einen Seite ein bisschen bitter, weil so viel Arbeit da drin steckt und so viele Gedanken, so viel Zeit und so viel Mühe, so viele Ressourcen auch. Und auf der anderen Seite ist das der absolute Reiz am Theater, dass immer der Augenblick zählt und dass immer dieser Moment, in dem Menschen im Publikum sind und uns zugucken, die auf der Bühne etwas erzählen, dass das nur für den Augenblick da ist. 

Und das kann natürlich auch schiefgehen. Das erleben wir ja auch manchmal. Was ich eben hier in Ulm so toll finde, ist, dass ich über so einen langen Zeitraum auch das Ensemble kennenlernen darf und mit ihnen arbeiten darf, in unterschiedlichen Produktionen. In der Freiberuflichkeit, du hast es gesagt, ich hatte unterschiedliche Stationen, ich hab auch an einigen Stationen immer wieder gearbeitet, also da kommt dann auch eine Kontinuität auf und man lernt sich auch kennen, aber trotzdem ist dass da noch mal was ganz anderes. Wenn man eben als Gast an einem Haus ist. Und hier tauchen wir so richtig ein zusammen in die Arbeit und lernen uns total intensiv kennen. Und das ist ein absolutes Geschenk, das macht total großen Spaß. 

du hast vorhin gefragt, was zu meinen Aufgaben gehört in der Schauspieldirektion. Also mir ist das auch total wichtig, eben in der Berücksichtigung von dem, was das Ensemble so mitbringt, das sind ja sehr unterschiedliche Dinge, das sind unterschiedliche Fragen oder auch Bedürfnisse, unterschiedliche Farben, die man reinlegt, und ich finde das ganz wichtig, dass man Theater macht unter der Berücksichtigung von den Menschen, die das tun. Dass es nicht egal ist, wer  »Mutter Courage« spielt, sondern das muss die Christel Mayr sein, das ist total klar. Wir haben den Stoff für sie ausgesucht, ja, weil wir sie gefragt haben, was wolltest du denn schon immer mal spielen? Ja, also das, das war mir wichtig, da in einen ganz konkreten Austausch zu gehen mit dem Ensemble und zu hören, was wollt ihr denn, was könnt ihr denn und was wären denn Aufgaben für euch, die gut wären so, und das hab ich versucht. Oder das versuch’ ich immer noch.

Christian Stolz:

Jetzt bist du schon gerade schön ins Thema Spielplan gesurft, quasi. So ein Spielplan, der entsteht ja immer für eine ganze Saison, also jetzt zum Beispiel ist der Spielplan fertig für die nächste Saison, Spielzeit, nennen wir das, die im September beginnt. Wie setzt sich denn am Theater so ein Spielplan zusammen? 

Wie entsteht der und vor allem du hast eben schon so ein paar Punkte angedeutet, aber was ist dir wichtig in so einer Gesamtzusammenstellung so eines Spielplans, weil der hängt ja thematisch für so ein Jahr miteinander zusammen.

Marlene Schäfer:

Das stimmt also, das ist ja auch etwas, in das sich so ein bisschen reinwachsen musste, weil ich das so nicht kannte. Also aus der Perspektive der Regie hab' ich Anfragen bekommen, oder eben mit Häusern, mit denen ich dann schon länger im Gespräch war. Dann kann man auch sagen: Ah, ich hätte Interesse an dem Stoff, würde das denn nicht zu eurem Spielplan passen? Also ich kannte eine andere Perspektive. Ja, auf die Frage was was möchte man denn auf der Bühne machen? So und hier bin ich dann schon eingestiegen, das war dann eben auch schon in 2022, fing das tatsächlich schon an oder da war schon der Spielplan für die Spielzeit 2023/24…Der war da schon im Entstehen, als ich quasi in diesen Job reinkam. Und das hat super viele unterschiedliche Faktoren. 

Also einer zum Beispiel ist das Abo-System. Ja, also das ist ein gewisses Gerüst was es hier in Ulm gibt und da ist es dann natürlich total wichtig, dass die Menschen, die immer wieder kommen und sich ja auch dem Theater so treu verschreiben, dass wir denen was anbieten können, was sie in diesem Spielplan vielleicht auch noch nicht gesehen haben. Was jetzt in den letzten zehn Jahren, zum Beispiel, nicht schon auf dem Spielplan stand und was in dieses System von den unterschiedlichen Abostrukturen passt. 

Also das ist zum Beispiel eine Sache, die ich vorher nie so wirklich bedacht habe, und dann finde ich es ganz wichtig, dass der Spielplan ausgewogen ist. Ausgewogen im Sinne von: Man kann nicht erwarten, dass jedem einzelnen jeder Stoff gleichermaßen zusagt. Also wir haben ja Gäste auch aus unterschiedlichen Gründen..wir haben Gäste, die besonders gerne ins Musiktheater kommen oder sich ausschließlich Tanz angucken oder eben die Literatur lieben und deswegen im Schauspiel viel zu Gast sind. Wir haben aber auch Gäste, die von allem ein bisschen angucken möchten und deswegen ist es wichtig, da auch im Zusammenspiel der Sparten zu schauen, dass wir ein möglichst breites Spektrum haben. 

Und eben jetzt für das Schauspiel gesprochen: Dazu zählt ja auch dann das Musical was wir auch eben immer als feste Position im Schauspiel bestreiten, sozusagen. Und ja, und dann ist es toll, wenn wir was Lustiges haben und dann ist es mir aber auch wichtig, Geschichten zu erzählen, die vielleicht eher, ich will gar nicht sagen, traurig sind, aber die eben eine andere Seite des Lebens auch abbilden, dann einen politischen Bezug... Ja, also Theater ist ja irgendwie nicht verstaubt, sondern das hat ja auch ganz viel mit dem Spiegeln der Gesellschaft zu tun oder den Themen, die uns einfach beschäftigen. Ja, also so gibt es dann unterschiedliche Farben, nach denen man sucht. Und im Idealfall hat man aber sowas, wieso ein Überthema oder man hat so was, was die Stoffe miteinander verbindet als einen Gedanken zum Beispiel..Das find ich irgendwie immer ganz schön, es darf auch nicht beliebig sein, sondern es muss auch irgendwie zueinander passen und  genau das machen wir zusammen. 

Also zum einen gibt es natürlich den Intendanten, den Kay Metzger, dann gibt es unseren Chefdramaturgen Dr. Christian Katzschmann...Und es gibt die Dramaturgen, so wie dich, oder auch Sandra Schumacher, mit denen wir dann zusammensitzen und uns austauschen. Und jeder hat einen Vorschlag, eine Idee, dann werden die Stücke gelesen, dann wird noch mal ein Roman gelesen, dann spricht man darüber, dann recherchiert man, was gibt es denn gerade für neue Texte und auch immer natürlich mit der Frage, wer könnte das inszenieren? Also ich finde, das darf auch nicht beliebig sein.  Also, das weiß ich dann sozusagen aus eigener Erfahrung, dass auch Regiemenschen nicht immer Allrounder sind und alles gleichermaßen gut können oder wollen müssten, sondern dass man da auch versucht, auf die Stoffe dann Menschen zu setzen oder Stoffen mit Menschen zusammenzubringen, die sich dann positiv bedingen.

Christian Stolz:

Ich würde sagen, ein Projekt dieser Zeit bislang, das vielleicht schon besonders prägend war, war »Madonnen« am Anfang dieser Spielzeit, eine Produktion, die du initiiert hast quasi, eine Uraufführung, ein Auftragswerk an die Autorin Amanda Lasker-Berlin, die ein Stück hier fürs Theater geschrieben hat. Eine Autorin, die du schon vorher aus anderen Zusammenarbeiten kanntest und die du dann angefragt hast, ein Stück hier fürs Theater zu schreiben. Und sie war ganz frei in der Themenauswahl.

Marlene Schäfer:

Jein. Jein, also genau, ich hab Amanda kennengelernt in Aachen, da hab ich ein Stück von ihr inszeniert und war total begeistert, weil ich am Anfang, also man muss das ja auch ehrlich sagen, ich hab diesen Text gelesen und hab dann also diesen anderen Text ja aus Aachen und hab gehört, so hä, der ist ja so stimmig, wenn man den liest, wie soll man den denn auf die Bühne bringen?

Und dann hab ich mit der Ausstatterin Kristin Treunert über diesen Text gebrütet und gelesen und überlegt und dann haben wir über die Bühne, über das Bühnenbild sozusagen eine Möglichkeit gefunden, diesen Text auf der Bühne dann noch mal einen Mehrwert zu geben. 

Weil das müssen wir uns ja auch fragen: Warum sollte ich ins Theater kommen und nicht einfach den Roman lesen? Also es hat ja auch was mit der Disziplin sozusagen als Kunstform zu tun, wie wir erzählen, und in diesem Suchen und in diesem Überlegen: Wie kann man diesen Stoff auf die Bühne bringen? Hatte ich einen ganz tollen Kontakt mit Amanda und das ist nicht selbstverständlich. Also nicht alle Autorinnen und Autoren sind so zugänglich und offen für Fragen auch der Regie oder Vorschläge der Regie für die Umsetzung. Und deswegen war das eine ganz tolle Zusammenarbeit und ich schätze ihren Blick und auch die Art, wie sie erzählt, also ihre Art, wie sie auch Sprache in moderne Poesie bringt. 

Welche Figuren da so aufploppen.. und ich erzählte dann eben in einer dieser Spielplanrunden von ihr als Autorin und dass ich total Lust hätte, mit ihr noch mal was zu arbeiten, dass das ja toll wäre, wenn wir das schaffen würden, ein Auftragswerk zu vergeben und dann ging es schon auch um Themen tatsächlich und die Stoffe, die wir in dieser Spielzeit auf dem Spielplan haben, die haben alle was auch mit Identität zu tun. Und das war uns in diesen Runden schon klar und ich finde eben auch, dass die Rolle der Frau in der Gesellschaft, in Ulm, bei uns im Theater, aber eben auch in den vergangenen Jahrzehnten ein absolut virulentes Thema ist. Was mich wahnsinnig interessiert, und ich wusste das auch Amanda da schon Überlegungen zu hat und gesagt hat, ja, sie würde super gerne mal ein Stück machen über die Frauen, die nicht so sichtbar sind. Und deswegen gab es sozusagen irgendwie auch schon ne Idee. Ja, also irgendwie gab es da schon auch so einen Schwerpunkt, oder ich hab eben gesagt, wenn wir ein Auftragswerk für Ulm machen, dann muss das auch was mit den Ulmerinnen und Ulmern zu tun haben. 

Also das wäre schade, wenn das so allgemeingültig wäre, dass man sich als Ulmer Publikum nicht mit dem Text verbinden kann oder den Figuren, die auf der Bühne sind und das war dann schon klar. Also das war dann schon der Wunsch. Ich finde, das hat sie wirklich ganz toll gelöst. Was da jetzt genau inhaltlich verhandelt wird, da haben wir ihr wirklich freie Hand gelassen, weil ich das auch irgendwie gut finde, wenn ein Autor oder eine Autorin da erstmal selber eine Stimme findet. Ja, also was ist was ist interessant für sie oder ihn. Und dann im nächsten Schritt komm ich ja erst als Regisseurin, das ist ja sozusagen in der Art, wie man das dann auf die Bühne bringt, da bin ich dann nicht als Schauspieldirektorin gefragt, sondern in dem Regieberuf und der setzt dann viel später an, also wenn der Text steht, ja. 

Christian Stolz:

Was ist dir denn aus den Proben wichtig? Wie kann man sich Theaterproben von Marlene Schäfer: vorstellen, was ist dir wichtig?

Marlene Schäfer:

Genau also auch da, ich glaube, jeder Regisseur, jede Regisseurin arbeitet anders. Das hat sicherlich auch damit zu tun, wie man es gelernt hat oder was man eben jetzt bei mir in der Assistenzzeit, also wen hab ich zugeguckt und was hab ich davon mitgenommen im Sinne von, das möchte ich auch so machen, oder uh, das möchte ich ganz anders machen. 

Und irgendwann hört das ja auf, dass man Regisseuren zuguckt, also dass man assistiert, und man muss irgendwann ja so seinen eigenen Weg gehen und für sich selber herausfinden, wie es funktioniert. Und das ist ein ewiger Prozess also.. Ich glaub schon, dass ich immer noch der gleiche Mensch bin. Ja, also auch in dem Beruf der gleiche Mensch bin und trotzdem hat sich das sicherlich sehr verändert, wie ich arbeite. Einfach, weil ich jetzt mit weniger Unsicherheiten zu kämpfen habe, beziehungsweise jetzt auch anders sagen kann: Leute, ich weiß das auch nicht, das müssen wir irgendwie zusammen rausfinden. 

Das war in den ersten Jahren in der Regie nicht so einfach, weil ich da schon immer dachte: Oh, ich muss dem Ensemble das Gefühl geben, ich weiß, was wir hier tun, ich weiß, wo es langgeht, ich hab alles im Griff. Und jetzt ist es also man wird natürlich mit den mit den Jahren und mit der Erfahrung, man entspannt sich ein bisschen ja also und man bricht sich auch keinen Zacken aus der Krone, wenn man auch sagt: Nö, keine Ahnung wie das jetzt geht. Nee an der Stelle, nee lasst uns dann morgen mal weiter gucken...Deswegen glaube ich, dass ich so ein bisschen..also ich bin zum Beispiel nicht mehr so akribisch vorbereitet für Proben wie früher. Also ich bin früher sehr früh aufgestanden und hab mich dann irgendwie eine Stunde oder zwei hingesetzt und die Proben vorbereitet. Das würde würde ich jetzt auch sogar nicht mehr schaffen.

Also wenn ich jetzt ins Theater komme, dann irgendwie zwischen 8:00 Uhr und 08:30 Uhr, dann sitz ich erst mal zwei Stunden am Schreibtisch und geh dann zur Probe bis 14:00 Uhr, danach sitze ich wieder am Schreibtisch und abends gehe ich wieder zur Probe. 

Also deswegen ist das auch, glaub ich, ganz gut, dass ich inzwischen dazugelernt habe und nicht mehr so verkopft bin vielleicht.. Ich weiß, dass ich meiner szenischen Intuition trauen kann und im Zweifel, ich bin ja auch nicht alleine da, sondern es sind ja auch ganz viele andere da, ich hab immer einen Dramaturg oder eine Dramaturgin zur Seite. 

Wir haben zwei tolle Assistierende im Schauspiel, Nemanja und Dominique, die einen ganz tollen Job machen und wir haben natürlich das Ensemble. Und für mich ist es eben wichtig, dass das auf Augenhöhe funktioniert. 

Klar muss am Ende des Tages irgendjemand sagen, OK, wir machen jetzt das, und das und das! Oder wir entscheiden uns jetzt von allen Varianten für diese und probieren das aus, damit es weitergeht. Aber mich interessiert das sehr, was die anderen sagen und was wie die einen Stoff lesen oder wie die eine Figur lesen oder wie wie Schauspielerinnen und Schauspieler ihre Figuren erzählen wollen. Im Zweifel ist man sich auch nicht einig, dann muss man darüber sprechen und das dann ausdiskutieren oder eben ausprobieren, deswegen proben wir auch ja weil es unterschiedliche Möglichkeiten gibt und wir nicht wissen müssen, vom ersten Augenblick an, wie alles funktioniert.

Christian Stolz:

Vorhin hast du davon erzählt, wie Stücke für den Spielplan ausgewählt werden. Einige davon inszenierst du selbst. Aber dann gibt es ja auch eine große Zahl von Produktionen, die an Gastregisseure und Gastregisseurinnen vergeben werden. Das ist ja auch ein Bereich, den du stark prägen kannst, hier als Direktorin: Wer kommt ans Haus, wer inszeniert, wen holt man wieder, wen holt man vielleicht komplett neu dazu, der noch nie hier inszeniert hat, wie setzt sich das zusammen, so eine Regieauswahl für eine Spielzeit?

Marlene Schäfer:

Ja, also ein wichtiger Punkt für mich ist auch eine Kontinuität. Also auch wenn ich quasi neu dazu gekommen bin, gibt es ja trotzdem Menschen, die mit dem Theater Ulm schon in Verbindung standen, bevor ich da war oder auch mit Herrn Metzger und Herrn Katzschmann in Verbindung standen und vielleicht auch schon in Detmold gearbeitet haben, so wie Jessica Cremer zum Beispiel, die jetzt in dieser Spielzeit »Das heroische Leben des Evgenij Sokolov« inszeniert hat.  

Und das finde ich sehr wichtig, dass man da also neue Impulse setzen, ist sicherlich wichtig und das, das möchte ich auch, sozusagen ein eigenes Netzwerk an Menschen, die ich schon länger kenne, schon länger beobachte, viele Stücke gesehen hab' und von denen ich viel halte, sozusagen. 

Aber das muss irgendwie Hand in Hand gehen. Also man muss das irgendwie zusammen machen. Deswegen bin ich da auch sehr, sehr dankbar, wie die beiden Herren mich so eingeführt haben. Weil klar, ich kam immer von einer anderen Perspektive oder hab immer aus einer anderen Perspektive auf den Betrieb geschaut und die beiden sind einfach sehr erfahren, die haben eben schon weiß ich gar nicht wie lange die beiden zusammenarbeiten schon über 20 Jahre glaub ich und die haben einfach sehr viel Theatererfahrung und viel Theater-Leitungserfahrung und dadurch, dass ich das nicht habe, ich hab zwar also Führungserfahrung im Sinne der Regie, also man führt da ja auch ein Team.. 

Aber alles das, was zu der Theaterleitung gehört, das sind Dinge, die muss ich neu lernen, ergänzend auch durch die Uni natürlich und durch Herrn Metzger und Dr. Katzschmann. Und es war ganz toll in dem Austausch, weil wir vielleicht auch an manchen Stellen ein anderes..Theaterverständnis hört sich dann so groß an, aber wir sind aus unterschiedlichen Generationen und gucken auch da aus unterschiedlichen Richtungen auf Stoffe, auf Themen, auf das, was uns interessiert, und das find ich eigentlich ganz großartig, dass es dadurch, dass wir auch so ungleich sind, dass sich das im Spielplan eigentlich in der Vielheit äußert. 

Ich empfinde da die die Beratung, die Besprechung..also ich empfinde auch da eine große Augenhöhe oder eben ein großes Miteinander. Und ich lerne dazu, die ganze Zeit und ich fühl' mich aber auch sehr ernst genommen. 

Also das würde glaube ich nicht funktionieren, wenn ich die kleine Schülerin wäre und die beiden Herren alles entscheiden, sondern ich hab schon auch meine Meinung und wie du sagst, auch meine Vorschläge für Regiemenschen. Das findet Gehör und insofern ist es ja durch eine wirklich gute Teamarbeit ein Ergänzungsprinzip, was wir dann hier dem Publikum anbieten können.

Christian Stolz:

du hast gerade von diesen Jahren als freiberufliche Regisseurin gesprochen, in denen du an unterschiedlichen Häusern inszeniert hast. Und dann kam diese Ausschreibung in Ulm: Es wird eine neue Schauspieldirektion besucht und du hast dich darauf beworben..

Marlene Schäfer:

Das lief tatsächlich ein bisschen anders. Ich hab gerade in Tübingen inszeniert, das war »Der Fiskus« tatsächlich, und Herr Metzger hat sich bei mir gemeldet. Ich kannte ihn eigentlich gar nicht und er meinte, ob ich denn Interesse an einer etwaigen Regie hätte, in Ulm und mal vorbeikommen möchte. Da dachte ich: Ja klar, mach ich gerne, wenn ich hier die Premiere rum hab dann komm ich! Und das hab ich dann gemacht und dann hab ich schon gedacht: Na ja man trifft sich vielleicht irgendwie mal kurz oder so, aber dann war das dann doch ein relativ offizieller Termin im Intendanzbüro und Dr. Katzschmann kam dazu und dann dachte ich: Hm, OK, ich musste mich schon lange nicht mehr für eine Regie so bewerben. 

Aber ich dachte die sind sehr nett und sehr offen und dann haben wir also eine Stunde lang wirklich gut gequatscht über das Theaterverständnis, über das was wir gut finden, was ich schon gemacht habe, wie ich arbeite.. und dann haben Sie gefragt, ja, jetzt haben wir noch eine andere Frage an sie: Könnten sie sich denn auch vorstellen, Teil von der Theaterleitung zu sein? 

Da dachte ich ja, na klar kann ich das. Dann haben sie gesagt, dass Jasper Brandis vorhat zu gehen und dass sie auf der Suche sind. Ja, wenn ich Interesse hätte, ob ich sozusagen in den Pool der Bewerber mit einsteigen möchte. Ich war da erstmal ganz nassforsch, hab gesagt: Ja klar, sicher! Ja, genau. Und dann kam es eben zu einem zweiten Treffen und zu einem dritten Treffen, und die hatten über einen gemeinsamen Kollegen von mir erfahren und gehört, der hatte gesagt: Ja, frag doch die mal.. und so kam eben Herr Metzger auf mich und zu diesem ersten Treffen und dann gab es ein zweites, ein drittes, und dann hab ich tatsächlich relativ schnell auch das Ensemble kennengelernt innerhalb dieses Bewerbungsprozesses. Der lief über ein halbes Jahr, glaube ich, also es ist eigentlich sehr langer Prozess, also ein langer Zeitraum für so eine Suche, und das Ensemble war involviert. 

Also die Theaterleitung hat in Absprache mit dem Ensemble gemeinsam gesucht und das fand ich total toll. Also das ein Haus das macht und dass man eben nicht sagt: OK, liebes Ensemble, wir haben jetzt hier jemand anderen gefunden, ihr müsst jetzt mit dem leben, sondern dass das Ensemble tatsächlich partizipiert an diesen großen Entscheidungen, das fand ich sehr sympathisch und auch sehr modern als Gedanken. 

Und dann hat sich das eben so ergeben, dass dass man sich füreinander, gegenseitig auch, füreinander entschieden hat und für mich dann eben auch schnell klar war, dass ich das Ensemble übernehmen möchte, so wie das ist. 

Also die haben mich gewählt und ich hab sie sozusagen gewählt und das war auch eine absolut richtige Entscheidung. Und ja, es ergeben sich ja durch Wechsel immer irgendwie die ein oder andere Möglichkeit. Dann war ich auch bei Vorsprechen dabei und dann konnten wir eben Samson Fischer gemeinsam auswählen und ja für zwei Spielzeiten nach Ulm holen, genauso auch Adele Schlichter.

Also, es hat schon auch Gestaltungsspielraum gegeben, wo ich von Anfang an dabei war. Aber sozusagen die Grundidee war: Stabilität und Kontinuität mit diesem Ort, auch nach den Jahren von Corona. 

Ja, also das hat uns in 2022/23 immer noch sehr im Nacken gehangen und deswegen war das, glaube ich, auch genau für das Haus und für das Schauspiel, wie es aufgestellt war, ganz wichtig. Und ich muss sagen, ich hatte ne ganz tolle Übernahme oder Übergabe von von Jasper Brandis. Auch wir kannten uns schon so vom Hörensagen, auch da ist die Theaterwelt relativ klein. Und er hat sich viel Zeit genommen und wir haben uns oft gesprochen, telefoniert, aber auch hier getroffen. Ich hab' versucht, mir so viel wie möglich anzuschauen, was eben im Spielplan war. 

Also das war einfach ein sehr herzliches Willkommen heißen von unterschiedlichen Stellen hier in Ulm.

Christian Stolz:

Und dann hast du dich in diese neue Position als Schauspieldirektorin geworfen, hast Erfahrung gemacht und ich glaub, ein weiterer wichtiger Punkt oder eine große Herausforderung, die noch dazu kommt, das Thema Theater und Familie wird an den Theatern schon seit vielen Jahren diskutiert. Es werden auch Reformen gefordert, um Theater und das Arbeitsumfeld im Theater familienfreundlicher zu gestalten und das ist ein Thema, das auch dich bewegt.

Marlene Schäfer:

Ja, total. Also das, was eigentlich zu dieser Bewerbungsgeschichte oder dieser Verfahrensgeschichte dazu gehört, ist, dass ich in dieser Zeit schwanger wurde und dann tatsächlich unterschrieben habe, den Vertrag, mit schon einem dicken Bauch. 

Also das war sozusagen auch klar, und ich bin damit auch sehr offen umgegangen, also sowohl Herrn Metzger und Dr. Katzschmann gegenüber, als auch dem Ensemble gegenüber, weil ich das nicht fair und in Ordnung gefunden hätte, für mich diese Entscheidung zu treffen, dass ich das probieren möchte, als junge Mutter in diesem Job zu starten und aber der Gegenseite gar nicht die Chance gebe, vielleicht auch zu sagen: Nein, das ist uns zu heikel. 

Ich habe hier an dem Haus vorher ja noch nicht gearbeitet, und das war schon ein Sprung ins kalte Wasser für alle Beteiligten, auch für mich, weil ich auch nicht wusste.. es ist mein erstes Kind, also ich wusste nicht, wie wird das sein, wie wird mein Kind sein, wie werde ich als Mama sein, wie wird das in unserer Familienstruktur, auch mit meinem Mann laufen, weil die Vereinbarkeit von Familie und Theater, das ist ein großes Thema.

Allein wegen unserer Arbeitszeiten, ja, und eben auch, weil wir sehr, sehr, sehr viel arbeiten und an den Wochenenden und am Abend hier sein müssen und wollen. 

Und ja, also es ist jetzt erstmal nicht so die wahnsinnige Familienkompatibilität da, aber wir haben alle gesagt, wir probieren es trotzdem aus, wir finden uns gut und die Dinge müssen sich ja auch irgendwie ändern und die ändern sich erst dann, wenn man es ausprobiert und ja, und dann sind wir da einfach alle zusammen gesprungen. 

So und jetzt mit dem Abstand, also genau meine Tochter ist geboren im Februar 2023 und die war dann so ein halbes/dreiviertel Jahr. Als ich dann quasi mit der regulären Spielzeit hier angefangen hab. Also wir waren aber vorher schon sehr, sehr oft hier, also sowohl mit meiner Mutter als auch mit meinem Mann. Ich hab gestillt in den Vorsprechpausen und genau also das, das geht dann auch nicht anders. 

Also jeder mit einem kleinen Baby weiß das, das ist dann auch erst mal bei dir und das hat aber gut funktioniert und ich hab da einfach wirklich ganz viel Unterstützung bekommen von den Menschen, die eben schon hier waren. Die gesagt haben wir kriegen das hin, das müssen wir hinkriegen, das müssen wir schaffen.. 

Ja, und ich hatte auch einen Ehrgeiz, natürlich. Also ich fand diese Herausforderung oder auch diese Chance, Schauspieldirektorin sein zu können, das fand ich einfach ganz toll und ich wollte es auch wissen. Und ich war auch sehr bereit, sehr viel zu investieren, also ich hab nicht so viel geschlafen in dieser Zeit, zum Beispiel..Ja wenn meine Tochter geschlafen hat, dann hab ich gearbeitet, aber das ging ja, weil ich das auch unbedingt wollte und auch, da sind wir wieder bei dieser Motivation, diese intrinsische Motivation. Also die Menschen, die am Theater arbeiten, die machen das in der Regel, weil sie das wirklich wollen. Ja, weil die Bedingungen, die wir hier haben, also sowohl was die monetäre Ausstattung angeht als auch die anderen Bedingungen, eben so was wie Uhrzeiten, zu denen wir hier arbeiten.. das macht man nur, wenn man das möchte. Ansonsten ist das tatsächlich.. Es ist schon auch hart. Es ist schon auch hart und es ist eben viel, viel zu tun. 

Ja, und dazu gehört ja auch... du hast ja so n tollen Cliffhanger gehabt am Anfang mit dem Tattoo, genau weil ich eben in einer anderen Stadt gelebt habe als in Ulm, und das hat mit dem Beruf meines Mannes zu tun, der eben auch in in Köln am Theater war und wir gesagt haben: OK. also jetzt gehe ich als Schauspieldirektorin nach Ulm, ich hab' ein Baby und meine Familie ist eigentlich in Köln und ich Pendel zwischen diesen beiden Städten. Da waren dann schon einige Herausforderungen auf einem Haufen. Ja, also es war auch keine leichtfertige Entscheidung, also wir haben uns das wirklich sehr, sehr gut überlegt und uns da versucht, so gut es geht aufzustellen und jetzt eben mit dem Abstand kann man sagen, das hat dann doch auch ganz gut geklappt so, also es ist machbar..

Ich glaube zum Beispiel auch, dass jetzt also auch als Errungenschaft der Corona Zeit die Möglichkeit, dass man in Sitzungen auch via Zoom teilnimmt, das war schon eine Umstellung, glaube ich, für die Menschen, die jetzt hier zum Beispiel in der Leitungsrunde sitzen, die ja wöchentlich stattfinden muss, damit wir uns austauschen. Also Frau Schäfer ist jetzt wieder am Tablet dabei und das geht, aber.. Das hat funktioniert und das war auch dann für mich einzurichten und ich versuche natürlich so oder so so viel Zeit vor Ort hier wie möglich zu verbringen. Aber ich kann nicht nur hier sein, das ist auch immer noch so und das ist ein ewiges Austarieren.. vor allem ist eine gute Kommunikation wichtig und ein gutes Familienmanagement. 

Also mein Mann und ich besprechen uns tatsächlich immer für die nächsten drei vier, fünf Monate und planen die Reisen, also für die Familie, wenn die dann alle mitkommen, aber eben auch für mich, wenn ich alleine unterwegs bin. Und diese Termine, sobald die stehen, gebe ich dann an Frau Miller-Englbrecht im Geschäftszimmer der Intendanz damit das hinterlegt ist, also damit man auch verlässlich mit mir planen kann, weil es natürlich Dinge gibt, die muss man hier live machen. Also auch Probenbesuche, das ist ganz wichtig, dass ich in die Endproben auch der anderen Stücke gehe, aus Interesse, aber eben auch, weil es wichtig ist, darüber zu sprechen und zu sagen: OK, wir haben jetzt noch zehn Tage bis zur Premiere an der und der Stelle würde ich sagen, muss man noch mal gucken. 

Ja, das ist ja auch ein Teil der Schauspieldirektion. Das zu betreuen, also die Produktion zu betreuen. Und auch immer wieder Nachgespräche zu führen. Also das machen wir auch, seitdem ich hier bin, dass wir Feedback-Runden zu jeder Produktion führen. Und ich mach das sowohl mit dem Regieteam als auch mit dem Ensemble der jeweiligen Produktion, um herauszufinden, was lief gut und was lief nicht so gut. Genauso gehe ich meine Runden durchs Haus und frag in der Kostümabteilung, wie war das denn mit der oder dem Ausstatter? Ich frag bei der Technik nach, also es ist für mich ganz wichtig, da auch immer diese Informationen einzuholen... Genau das muss ich unbedingt hier machen. Viel E-Mail-Kram oder eben auch so Telefonate oder Vertragsverhandlungen am Telefon. Das das kann ich auch von zu hause aus machen.

Christian Stolz:

du hast gerade schon angedeutet, dieser eine Ort ist dir besonders in Erinnerung geblieben. du hast ihn ins Herz geschlossen, du hast dir »11 :11 Uhr« tätowieren lassen..

Marlene Schäfer:

Ich hab' »11 :11 Uhr« am Fuß stehen, jetzt ist es raus, jetzt wissen wir es alle! Es ist ein sehr sehr kleines Tattoo. Aber ja, das kommt daher, dass wir jetzt im letzten Sommer Köln verlassen mussten und jetzt in Wien leben. 

Also das ist auch noch mal die nächste Destination, die irgendwie ja noch ein bisschen weiter ist. Da hab ich auch gehört. Oje, also irgendwie, das Leben wechselt so schnell, also auch mein Mann hat sozusagen ein Jobangebot aus Wien gehabt, dass man eigentlich nicht ablehnen kann und deswegen haben wir gesagt: OK, dann probieren wir das jetzt auch aus Wien heraus. Das hat aus Köln gut geklappt und dann sind wir eben gegangen und weil ich ja Köln sehr gerne habe und da sehr sehr gerne gelebt hab, von 2018 bis 2025 nee bis 2024, hab ich gedacht eine kleine Verewigung brauch ich dann vielleicht auch an meinem Fuß. 

Und es ist aber bislang die einzige Stadt, die in irgendeiner Art verewigt ist. Mal gucken, ob irgendwann auch Ulm zukommt. Vielleicht so ein Ulmer Spatz auf dem anderen Fuß könnte ich mir vorstellen, das muss ich noch mal überlegen, ist auch noch ein bisschen Zeit..

Christian Stolz:

Dann bringst du die Ulmer Vibes woanders hin, weil ich finde du schaffst es total gut, die Kölner Lebensfreude auch hierhinzubringen.

Marlene Schäfer:

Ja, ja, richtig, genau so mache ich das dann. So ist es ja auch im Leben, also das was einen prägt, das, was man erlebt hat, das packt man irgendwie immer in seinen Köcher und nimmt das so ein bisschen mit. Also das ist ja auch das Schöne, dass man irgendwie, so merkt mit den Jahren, die man nicht nur an Erfahrung erzählt, sondern eben auch älter wird oder eben auch jetzt.. meine Tochter, die jetzt schon zwei ist und das prägt einen ja alles, und das ist in der Kunst schon sehr wichtig, ja, also dass wir nicht nur immer neu gucken oder auch überlegen, welche neuen Stoffe, sondern man muss ja auch was erzählen wollen und das geht dann gut, wenn man viel erlebt, auf jeden Fall ja.

Christian Stolz:

Als du hier angetreten bist in Ulm, hast du sinngemäß gesagt, dass es dir wichtig ist, am Theater Geschichten zu erzählen. Von Figuren zu erzählen, die uns berühren, die uns beschäftigen, die uns aufwühlen, an denen wir vielleicht anecken, weil wir damit nicht einverstanden sind mit der Biografie zum Beispiel, was auf die Bühne gebracht wird. Würdest du sagen, das ist auch etwas, wenn wir jetzt so ein bisschen auf die nächsten Monate, auf die nächste Spielzeit blicken, die ja im September bevorsteht, ist das etwas, was auch diesen nächsten Spielplan prägt?

Marlene Schäfer:

Ja, auf jeden Fall. Also weil ich glaube, dass das hat ja etwas damit zu tun, was wir als die Aufgabe des Theaters begreifen. Also da steckt sicherlich ein Bildungsauftrag dahinter und das ist eben auch schön zu sehen, dass jetzt zum Beispiel ein Stoff wie »Der Vorleser«, der gerade aktuell im Podium läuft, das ja auch ein Schulstoff ist und wir deswegen auch viele Schulvorstellungen spielen können und da junge Menschen ins Theater holen oder die sozusagen sich das anschauen, das find ich ganz wichtig, und das find ich ganz toll. 

Also wir haben ja große Familienstoffe, ich hab eben schon gesagt, »Das letzte Feuer« von Dea Loher, wir haben aber auch »Familie Schroffenstein« von Kleist, und das ist natürlich auch etwas für unsere Literaturliebhaber mit einer ganz besonderen Sprache auch total herausfordernd, aber auch wirklich kraftvoll auf der Bühne zu erzählen..in der Regie von Herrn Metzger..

Der politische Bezug kommt in einem Stoff wie zum Beispiel »Mephisto« von Thomas Mann in der Regie von von Malte Kreutzfeld werden wir das erleben, der ja auch letzte Spielzeit mit »Der Prozess« einen ganz tollen, bildgewaltigen Abend erzählt hat.. dem ich übrigens in Darmstadt assistiert habe, also da auch so eine Querverbindung, ich kenne ihn auch schon seit über 11/12/13 Jahre oder so.

Genau dann haben wir was Tolles im Podium, eine Geschichte, eine richtige Ulmer Geschichte, das ist wieder ein Auftragswerk, diesmal an Philipp Löhle. Der hatte mich angerufen, das ist jetzt auch schon eine Weile her und hat gesagt hier, ich hab da eine Geschichte gelesen in einem Magazin, da geht es um einen Ulmer Taxifahrer. Das wär doch eigentlich was fürs Theater. Und dann hab ich mich da eingelesen und wieder mit Philipp Löhle telefoniert. Und das ist wirklich eine besondere Geschichte über einen Doppelagenten, der damals in den 80er Jahren hier in Ulm als Taxifahrer arbeitete und dann aber eben Spionageaufträge hatte und immer wieder in die ehemalige DDR gefahren ist, zum Informationsaustausch. Dann aber, als es rausgekommen ist als Doppelagent auch von der BRD eingespannt wurde und als das dann rauskam, lange in Hohenschönhausen im Gefängnis war. Und das ist natürlich auch eine ganz, ganz spannende Geschichte, die sehr politisch ist und gleichzeitig aber auch total viel mit Ulm zu tun hat und da bin ich sehr gespannt drauf, da gibt es auch noch keinen Text, da muss man mal gucken..wie das wird und was da erzählt wird.. Genau. 

Und dann gibt es auch noch so zum Ende hin auf der großen Bühne »Ewig jung«, also auch eine humorvolle und vor allen Dingen auch musikalische Produktion, und das ist schon auch in Ulm besonders, dass unser Schauspiel Ensemble..die sind alle so talentiert, im Singen also..Das ist wirklich großartig, also auch wirklich, dass man hier das Musical nächste Spielzeit, »Das weiße Rössl« auch ein großer Stoff, ein bekannter Stoff, einer der auch total Spaß macht und wo man irgendwie auch ganz gut andocken kann, weil es irgendwie einem geläufig ist, weil man es kennt. Ja, also wir einfach ganz tolle Menschen hier haben, die wir auf der Bühne erleben können.

Christian Stolz:

Und ganz aktuell, noch in dieser Spielzeit, kann man die letzte Premiere im Schauspiel erleben. Einen Monolog, den du gerade inszenierst und zwar nicht hier im Theater, sondern im Gericht hier in Ulm, im Gerichtsgebäude. »Prima Facie« ein Monolog, was ist das für ein Stück und wie ist es, im Landgericht zu inszenieren?

Marlene Schäfer:

Also »Prima Facie«, das ist eine Geschichte über Tessa Ensler. Das ist eine eine Frau, die so Anfang, Mitte, 30 ist und als Strafverteidigerin arbeitet und mutmaßliche Vergewaltiger rausboxt. Und sich dafür einsetzt, dass die ein ordentliches Gerichtsverfahren bekommen und wenn da eben das Verfahren Lücken aufweist, die da auch als ein ganz harter Hund für kämpft, dass die dann eben auch freigesprochen werden... 

Und dann gibt es eben so einen Twist in ihrer Biografie: Sie hat eine Affäre mit einem Kollegen. Und innerhalb einer einer Nacht, die eben auch alkoholtrunken ist, gibt es eine Art Übergriff, der eigentlich eine Vergewaltigung ist. Ja und am Anfang war es noch einvernehmlicher Sex und es wurde aber zu nicht einvernehmlichem Sex und das ist natürlich eine ganz schwierige Situation, weil bei diesen Strafverfahren oftmals eine Aussage gegen eine Aussage steht und ja es oft um die Glaubwürdigkeit der Zeugin geht.. Weil es gibt ja keinen Videobeweis oder sowas für das eine oder das andere ja und in der Regel läuft es dann darauf hinaus, dass die Glaubwürdigkeit in Frage gestellt wird und in dem Moment, in dem dann die Täterschaft sozusagen angezweifelt werden kann..

Weil die Glaubwürdigkeit in Frage steht. Dann kommt es oft zu Freisprüchen und das ist auch ein Problem im deutschen Rechtssystem und die Frage ja, also wie deutlich muss ein »Nein« sein, damit es keine Übergriffe gibt und das ist also auch wieder ein hartes Thema tatsächlich.

Aber auch ein ganz tolles Stück, also auch ein Stück, das sehr viel gespielt wurde bisher an an deutschen Bühnen, aber auch schon am Broadway gezeigt wurde, weil das eben auch sehr sprachgewaltig ist. 

Und weil es eine ganz tolle Figur ist, die so einen Wechsel hat. Die zuerst als als auch ehrgeizige Anwältin auftaucht und dann aber eben sich eigentlich auf der anderen Seite, nämlich der als Opferzeugin im Gerichtssaal wiederfindet und dann ihren ehemaligen Kollegen anzeigt und es dann zum Gerichtsverfahren kommt und es dann eben ausgewertet wird: Wer hat hier recht, an was erinnert sie sich, wie verteidigt er sich.. 

Also das ist so, das ist so der Inhalt, und das ist natürlich großartig, dass in einem tatsächlich echten Gerichtssaal spielen zu dürfen. Wir sind im Schwurgerichtssaal vom Landgericht (Ulm), das ist ja hier von uns im Theater eigentlich nur zehn Minuten einmal die Straße runter. Wir hatten jetzt zwei Proben vor Ort, genau, wir sind ja sonst immer hier auf einer Probebühne und haben dann da alles so ein bisschen improvisierter aufgebaut und den Originalraum, das ist ja auch bei anderen Theaterabenden so.. das wir die erst kurz vor der Premiere richtig auf der auf der Bühne sozusagen die einzelnen Elemente zusammenbringen. Bei uns ist es jetzt so, dass wir einige wenige Proben schon vor Ort hatten, und das ist sehr besonders, also das ist ja erstmal kein Theaterraum, sondern dieser die Funktion des Raumes ist eine andere, das spürt man total deutlich. 

Da gibt es auch in so einem Nebenraum. Eine richtige Zelle, wo dann Menschen, die in U-Haft sind, angekettet werden, tatsächlich hinter Gitterstäben, da riecht es auch total nach Rauch. Das ist der einzige Raum im im ganzen Haus, in dem geraucht werden darf, eben für den Häftling, und das ist dann schon auch beklemmend. Also das ist schon eine sehr eindrückliche Atmosphäre. 

Ja, insofern ist das erstmal toll, sich daran abzuarbeiten, das ist ein schwerer Stoff, aber es ist auch ganz wichtig, diese Geschichte zu erzählen, und deswegen haben wir auch durchaus auch immer wieder Spaß auf den Proben. Also es ist nicht so, dass man da nur, wenn man dann sozusagen diese schweren Themen hat, dass das einem die ganze Zeit so schwer zusetzt, das gehört auch dazu, vor allen Dingen, weil wir auch viel recherchiert haben.. Sandra Schumacher, die Dramaturgin, hat dann auch so eine Materialmappe mit Gesetzestext, oder Erfahrungsberichten und sowas. Das ist dann schon auch ja harter Tobak. 

Wir hatten aber auch den Herrn Bischoffberger, den Oberstaatsanwalt, zu Gast bei einer Probe, der uns ein bisschen von hinter den Kulissen quasi berichtet hat, weil wir uns ja auch erstmal einarbeiten müssen in dieses System der Gesetze. 

Genau und ansonsten, und das ist so ein kleines Schmankerl, nämlich der ehemalige Landesgerichtspräsident Thomas Dörr, der spielt bei uns mit. Der wird auch zu sehen sein, als was genau verrat ich noch nicht da müssen Sie kommen.

Christian Stolz:

Also ein neues bandaktuelles Theaterstück, das wir dem Publikum sehr ans Herz legen können, ja.

Marlene Schäfer:

Glaub ich 3 Jahre alt. Genau.

Christian Stolz:

Zuletzt würde ich dich gerne fragen, wenn du da mal die Tür von Probensaal schließen kannst oder den Laptop zuklappen kannst und auch die Familie gut versorgt ist. Was bleibt denn dann noch übrig und was machst du dann gerne auch ins Theater gehen oder was? Wonach strebt dir dann der Sinn in Ulm oder um Ulm herum?

Marlene Schäfer:

Natur ist auf jeden Fall ein Punkt. Also ich bin total gerne draußen, ich bin es zu selten, aber wenn, dann genieß’ ich das sehr und ich finde das auch wirklich…die Lage von Ulm ist einfach großartig, weil man auch so schnell in den Bergen ist. Das ist wirklich total faszinierend und toll. 

Was ich sonst mache? Ich versuch schon auch ein bisschen Sport zu machen, einfach als Ausgleich so, und da jogge ich total gerne an der Donau, das finde ich richtig schön da, gerade morgens, wenn irgendwie die Sonne aufgeht. So, ich wohne in Neu-Ulm, ich habe da eine kleine Wohnung, und ja, das finde ich total toll und ansonsten..was mache ich noch gerne, ja, also ich gehe super gerne ins Theater, das hat sich aber eben auch durch, ja durch den Job und durch das Familienleben ist das auf jeden Fall wesentlich seltener als früher. 

Ich schaue gerne Filme, ich bin ich bin sehr oft im Zug tatsächlich, da verbringe ich eine ganz große Lebenszeit, und da lese ich viel, also in der Regel aber auch für die Arbeit so. Manchmal gucke ich aber auch nur raus, manchmal gucke ich einfach nur raus und es ist natürlich eine ganz tolle Strecke zwischen Ulm und Wien und man sieht dann die Berge und das, ja, das sind dann auch schon so kleine Momente des Glücks und ein bisschen Musik hören, das, das ist dann toll.

Ich habe Familie noch immer eben in Hessen, das ist mir auch sehr wichtig, ich versuche schon auch so oft es geht dort mal vorbeizuschauen. Das ist noch ein großer Teil, der mein Leben einnimmt. 

Das war es. Ich beschäftige mich sonst noch mit Tattooideen genau! 

Nein, quatsch, ich hab ja nur das eine, das ist ja gar nicht so viel, das hört sich so an, ja, aber nein ansonsten, das ist tatsächlich also Familie und Arbeit, das sind die zwei großen Säulen in meinem Leben, die mir sehr wichtig sind.

Christian Stolz:

Du sagst dann Bescheid, wenn das Ulm Tattoo da ist.

Marlene Schäfer:

Hey auf jeden Fall. Ich überleg mal was das was das sein könnte, was ich da machen könnte.

Christian Stolz:

Beim Tagträumen im Zug oder beim Joggen an der Donau, bei der Zeit mit einer Familie und auch bei der Leidenschaft fürs Theater hier auch am Theater Ulm mit deiner Arbeit wünsch ich dir nur das Beste für die nächste Zeit. 

Eine gute Premiere schon mal mit »Prima Facie« hier.

Marlene Schäfer:

Danke. Ja, wird schon schiefgehen, sagen wir ja da.

Christian Stolz:

Mit allem was, was demnächst so kommt in der Spielzeit und bedanke mich für dieses Gespräch. Vielen Dank fürs Plaudern fürs Einblicke geben.

Marlene Schäfer:

Danke. Ich fand es auch sehr sehr schön. Vielen Dank lieber Christian, dass du dir die Mühe machst und so tolle Fragen stellst.

Christian Stolz:

Hat mich auch sehr gefreut und wir hören uns wieder bei der nächsten Folge von Hinterbühne, dem Podcast des Theaters Ulm.

Marlene Schäfer:

Tschüss.